Die Ausrichtung der Forschung in der Forschungsstation auf dem Jungfraujoch hat sich über die vergangenen Jahrzehnte gewandelt. Zu Beginn standen Astronomie und Strahlungsforschung im Fokus; heute ist es die Umwelt- und Klimaforschung. Dabei interessiert die Forscher auf dem Jungfraujoch aktuell namentlich der Zustand der Atmosphäre und deren Veränderungen.
Heute werden die Messdaten der meisten Forschungsprojekte auf Jungfraujoch direkt übers Internet an die Arbeitsplätze der Forscher im Tal gesendet. Von den ungefähr 50 Projekten werden mehr als 100 Variablen gemessen. Neben 30 weiteren Beobachtungsstandorten ist die Hochalpine Forschungsstation Jungfraujoch Teil des Netzwerkes Global Atmosphere Watch (GAW), welches unter der Schirmherrschaft der World Meteorological Organization (WMO) steht. Zudem agiert die Forschungsstation Jungfraujoch als eine Schlüsselstation in verschiedenen globalen, europäischen oder nationalen Netzwerken, so z.B. Network for the Detection of Atmospheric Composition Change (NDACC), Integrated Carbon Observation Systems (ICOS) etc.
Meteorologie
Messungen und Beobachtungen zum Wettergeschehen begründeten die Forschung auf dem Jungfraujoch. Bereits 1925 wurde – damals noch auf dem Gletscher – ein erster meteorologischer Pavillon gebaut. Seit 1980 werden die Daten von der Sphinx aus mit standardisierten Messgeräten vollautomatisch erfasst und versandt. Die Wetterstation ist zudem dauernd bemannt, und zwar als höchste Station in Europa. Der Grund: Für die Arbeit der Meteorologen sind nicht nur Messungen wichtig, sondern auch Wetterbeobachtungen von Auge. Deshalb übermitteln die Betriebswarte der Forschungsstation mehrmals täglich ihre Wahrnehmungen wie etwa Wolkentyp, Höhe der Wolken oder Sichtweite an die Zentrale von MeteoSchweiz.
Die meteorologischen Messungen auf dem Jungfraujoch – auf der Wetterscheide zwischen Nord und Süd – sind wichtige Parameter in den Modellen für die Wettervorhersage, da sie für die Geschwindigkeit von Wetteränderungen relevant sind.
Die Daten vom Jungfraujoch sind aber nicht nur für gute Wetterprognosen wichtig. Lange Messreihen zu Temperatur sowie Windrichtung und -geschwindigkeit stellen auch eine Grundlage für die Umwelt- und Klimaforschung dar, die in der Forschungsstation eine immer wichtigere Rolle spielt. Die ermittelten Trends sind von grosser Bedeutung, da sich die Folgen des Klimawandels im alpinen Raum besonders ausgeprägt zeigen.
Überwachung des Strahlungshaushaltes
Neben den üblichen meteorologischen Messungen führt MeteoSchweiz auf dem Jungfraujoch aktiv ein Programm zur solaren und der atmosphärischen Strahlung durch. Die Stahlung ist die treibende Kraft im Energieaustausch zwischen der Atmosphäre, den Meeren und dem Erdboden. Der direkteste Effekt der globalen Klimaerwärmung scheint eine Zunahme der Infrarot-Strahlung zu sein, die aus der Atmosphäre zum Boden gesendet wird.
Es ist offensichtlich, das Strahlungsdaten in dieser Höhe im Zusammenhang mit dem Problem des Abbaus der Ozonschicht von speziellem Interesse sind; der UV-Anteil des Solarspektrums, der für Menschen schädlich ist, kann sehr exakt studiert werden.
Überwachung der Atmosphäre – Den Klimawandel dokumentieren
Die Hochalpine Forschungsstation ist besonders geeignet, um die Zusammensetzung der Erdatmosphäre zu untersuchen, da sie geringer Luftverschmutzung ausgesetzt ist. Spezielle Bedeutung hat dabei die Konzentration des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) erlangt. So misst die Universität Heidelberg seit 1986 ohne Unterbruch den Radiokohlenstoff im atmosphärischen CO2. Mit diesen Referenzmessungen lässt sich ermitteln, wie viel CO2 durch das Verbrennen von fossilen Brennstoffen in die Atmosphäre gelangt. Das Oeschger-Zentrum für Klimaforschung der Universität Bern bestimmt kontinuierlich die Konzentration von CO2 und O2 (Sauerstoff). Die Forscher wollen mit diesen hochpräzisen Messungen in Erfahrung bringen, wie sich das durch den Menschen produzierte Treibhausgas CO2 auf Atmosphäre, Biosphäre und die Ozeane verteilt. Zusammen mit den rund 100 verschiedenen Gasen, mit deren Messung die Forschungsinstitution Empa bereits 1972 begann, ermöglicht dies neue Erkenntnisse zur Luftqualität, zu Quellen von Luftfremdstoffen und zum Klimawandel. Das Jungfraujoch ist eine Station im Nationalen Beobachtungsnetz für Luftfremdstoffe (NABEL), welches durch die Empa und das Bundesamt für Umwelt (BAFU) betrieben wird.
Vertikalprofile
Die sehr trockene alpine Luft auf dem Jungfraujoch eignet sich besonders für diverse atmosphärische Untersuchungen. So hat sich zum Beispiel die Universität Lüttich (Belgien) auf die Arbeit mit Infrarot-Spektrometern spezialisiert. Im Gegensatz zu den In-situ-Messungen lassen sich dadurch die sogenannten Säulenkonzentrationen oder Vertikalprofile bestimmen. Sie geben darüber Auskunft, wie die Atmosphäre über dem Jungfraujoch gesamthaft zusammengesetzt ist. Dies ermöglicht unter anderem, die Entwicklung von mehr als 20 Atmosphärengasen zu verfolgen, die mit der Zerstörung der Ozonschicht zusammenhängen oder als Treibhausgase wirken. Diese Messungen sind von zentraler Bedeutung für die Überwachung des Montreal- und des Kyoto-Protokolls. Diese internationalen Abkommen schützen die Ozonschicht und begrenzen den Ausstoss von Treibhausgasen.
Aerosole – Die Wolkenbildung verstehen
Auf dem Jungfraujoch werden seit über 20 Jahren kontinuierlich Aerosolmessungen durchgeführt. Das Paul Scherrer Institut (PSI) und die Empa wollen so die Wirkung feiner Schwebepartikel auf das Klima besser verstehen. Die Hochalpine Forschungsstation ist deshalb Teil des globalen Monitoringnetzwerks Global Atmosphere Watch unter Federführung der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) mit insgesamt 30 Stationen.
Da es ab und zu in den Wolken steckt, ist das Jungfraujoch auch ein idealer Ort, um die Interaktion zwischen Aerosolen und Wolken zu erforschen. Unter der Bezeichnung CLACE (Cloud and Aerosol Characterization Experiment) finden immer wieder grossangelegte Messkampagnen mit internationaler Beteiligung statt. Dazu untersucht die Wissenschaft, wie die Aerosolpartikel in Abhängigkeit ihrer physikalischen und chemischen Eigenschaften die Wolken verändern.
Die Messungen werden durch Fernerkundungsmethoden ergänzt. MeteoSchweiz untersucht damit die vertikale Verteilung der Aerosole, und die ETH Zürich erforscht die Rolle von Aerosolen bei der Bildung von Eis in den hochgelegenen Zirruswolken.
Monitoring der Radioaktivität und der kosmischen Strahlung
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) betreibt ein automatisches Luftradioaktivitäts Monitoring System in der Forschungsstation auf dem Jungfraujoch. Dieser Monitor ist Teil des RADAIR Netzwerkes – ein zuverlässiges Instrument zur schnellen und automatischen Messung einer allfälligen gefährlichen Zunahme der Radioaktivität in der Luft. Die Detektionslimite für die künstliche Betastrahlung auf dem Jungfraujoch ist aufgrund der sehr tiefen Konzentration an Radon Töchterprodukten auf dieser Höhe sehr gering.
Auf dem Jungfraujoch werden durch die Universität Bern zwei standardisierte Neutronemonitore zum Monitoring der sekundären kosmischen Strahlung in der Atmosphäre betrieben. Aus den Messungen des weltweiten Netzwerkes von Neutronenmonitoren lassen sich die Variation des primären kosmischen Strahlungsfluss in Erdnähe und ihr Energiespektrum bestimmen. Die kosmische Strahlung trägt zur ionisierenden Strahlung auf der Erde bei und ihr Beitrag nimmt mit zunehmender Höhe über Grund zu. Die Strahlendosisrate durch die kosmische Strahlung beträgt auf einer typischen Flughöhe von 10 km ungefähr 5 µSv/h.
Medizin
Die Auswirkungen eines Aufenthalts im Hochgebirge auf den menschlichen Körper interessieren die Forschenden seit Langem. Das Thema zählte denn auch zu den ersten, die in der Hochalpinen Forschungsstation untersucht wurden. Durch ihre Lage auf rund 3500 m Höhe ist sie für medizinische Untersuchungen dieser Art prädestiniert. Kommt dazu, dass die Station dank der Jungfraubahn auch für nicht berggängige Versuchspersonen problemlos erreichbar ist. Verschiedene Forschungsgruppen befassten sich in jüngster Zeit beispielsweise mit der Frage, unter welchen Bedingungen sich Menschen mit geschwächtem Organismus in der Höhe aufhalten dürfen. Forscher des Berner Inselspitals etwa wollten wissen, ob Herzpatienten eine Höhe von über 3000 m ü. M. zumutbar ist.
Wissenschaftler der Universität Zürich untersuchten, wie sich das Herzkreislauf-System von acht Testpersonen anpasste, die 28 Tage in der Forschungsstation verbrachten. Und Mediziner der Ludwig-Maximilians-Universität München suchten nach Korrelationen zwischen Blutgaswerten und Symptomen akuter Höhenkrankheit.
Biologie
Auch Biologen bietet das Jungfraujoch besondere Bedingungen für Experimente und Beobachtungen. Dabei spielt nicht nur die Höhe eine Rolle, sondern auch die exponierte Lage im Alpenbogen, dank der sich auch Saharastaub ablagert. In einem gemeinsamen Projekt gingen die Universität Bern und die Freie Universität Berlin der Frage nach, ob im Wüstenstaub Mikroorganismen transportiert werden. Zudem wollten die Forschenden wissen, wie gut diese Kleinlebewesen, die in der Wüste Boden und Felsen besiedeln, den Transport in die Hochalpen überleben.
Veterinär Physiologie
Forscherinnen und Forscher der Universitäten Zürich und Freiburg befassten sich mit Strategien, die darauf abzielen, Gedächtnisstörungen infolge Sauerstoffmangels in der Höhe zu begegnen. Sie untersuchten dazu das Verhalten von zwei Gruppen von Long-Evans-Ratten: Die eine wurde unter normalen Laborbedingungen gehalten, die andere in Käfigen mit einer speziell anregenden Einrichtung.
In grosser Höhe zu leben reduziert die Krebsmortalität bei vielen Krebsarten. Eine Gruppe der Universität Zürich forscht in diesem Gebiet und führt auch Versuche auf Jungfraujoch durch: Link zum Video
Alle Experimente an Mensch und Tier unterliegen der Bewilligungspflicht der Nationalen Ethikkommission.
Glaziologie und Permafrost
Der Grosse Aletschgletscher, an dessen Ursprung das Jungfraujoch liegt, ist der längste Gletscher der Alpen. Die Hochalpine Forschungsstation bietet deshalb ein ideales Umfeld für wissenschaftliches Arbeiten in Schnee und Eis. Dank der ausgezeichneten Infrastruktur und dem einfachen Zugang ist der Grosse Aletschgletscher einer der am besten erforschten überhaupt.
Die Langzeitmessreihen der ETH Zürich zu Längenänderung, Massenhaushalt und Volumenänderungen dokumentieren nicht zuletzt den fortschreitenden Klimawandel.
Zunehmend spielt auf dem Jungfraujoch auch die Erforschung des Permafrosts eine wichtige Rolle. Diese Aktivitäten sind im Schweizer Monitoring Netzwerk PERMOS zusammengefasst. Dabei werden beispielsweise die Temperaturen an der Oberfläche und im Innern von steilen Felswänden gemessen. Und das Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) untersucht, welche Rolle die Schneebedeckung für den Wärmehaushalt und die Stabilität von Felswänden spielt. Es arbeitet dazu unter anderem mit der Universität Bonn zusammen.