Geschichte


Geschichte der Hochalpinen Forschungsstation Jungfraujoch

Aufgrund ihres einzigartigen Standortes in einer unberührten, hoch­alpinen Um­gebung auf 3’500 m  ü.M., der ganz­jährigen Er­reich­barkeit durch die Jungfrau­bahnen, und der aus­gezeichneten Infrastruktur, bietet die Hochalpine Forschungs­station Jungfrau­joch einzig­artige Bedingungen für erfolgreiche Forschung in verschiedenen Fach­richtungen. Zurzeit beschäftigen sich mehr als die Hälfte der Projekte mit Umwelt- und Klima­fragen.

Die Eroberung des Alpenraums

The 'Hôtel des Neuchâtelois'.

Das ‚Hôtel des Neuchâtelois‘.

Das Hoch­gebirge war lange Zeit nur einer Minder­heit zu­gänglich, da es noch keine an­ge­messene Aus­rüstung für die Er­forschung und das Über­leben im Hoch­gebirge gab. Allgemein wird die Besteigung des Mont Blanc von Horace Bénédict de Saussure im Jahr 1787 als der Beginn der touristischen und wissenschaftlichen Erkundung der Alpen angesehen. Der Um­fang seiner meteo­rologischen, physischen und geo­logischen Beo­bachtungen machten de Saussure zum Pioneer der alpinen Forschung. Aber erst Mitte des 19. Jahr­hunderts haben Forscher schluss­endlich das Hoch­gebirge erobert. Louis Agassiz, der später Professor an der Harvard Universität in den USA wurde und der Be­gründer der damals sehr kontroversen Gletscher­theorie war, führte von 1838-1841 wissenschaftliche Expeditionen im Gebiet des Unteraar- und Aletsch­gletschers durch. Die Arbeits- und Lebens­bedingungen waren hart. Auch wenn die Behaglichkeit des berühmten ‚Hôtel des Neuchâtelois‘ von den Forschern und gelegentlichen Besuchern sehr geschätzt wurde, wurde schnell realisiert, dass für er­folg­reiche Forschung in hochalpinem Gebiet eine entsprechende Infrastruktur un­erlässlich ist.

Die Jungfraubahnen

nebelspalterDie um­fangreiche und erfolgreiche wissenschaftliche Aktivität auf Jung­frau­joch ist eine direkte Konsequenz des ver­einfachten Zugangs durch die Jungfrau­bahnen. Erste Ideen für eine Bahn zur Jungfrau kamen kurz nach der Eröffnung der Mt. Washington, New Hampshire (USA) Bahn (1869; erste Zahn­rad­bahn der Welt) auf, noch bevor die Rigi Bahn in der Schweiz ihren Betrieb aufnahm (1871; erste Zahn­rad­bahn Europas). Verschiedene Ideen wurden zwischen 1860 und 1890 entworfen, eine eher humoristische Lösung des ‚Nebelspalters‘, einer Schweizer Satire­zeitschrift, ein­geschlossen (siehe Bild rechts). Maurice Koechlin, ein Ingenieur aus Zürich (der mit Eiffel zusammen­gearbeitet hatte), schlug vor, eine 4 km lange Adhäsions­bahn ins Lauter­brunnen­tal zu bauen und dann die Höhen mittels fünf auf­einander­folgenden Stand­seil­bahn-Abschnitten oder einer Zahnrad­bahn zu erreichen. Alexander Trautweiler hat ein Projekt­vorschlag ein­gereicht, in dem die Gäste mittels vier Tunnel-Stand­seil­bahnen auf den Gipfel transportiert werden. Eduard Locher, Erbauer der Pilatus­bahn, wollte Reisende innerhalb von nur 15 Minuten aufs Jung­frau­joch bringen, mittels druck­luft­getriebener Kolben-Fahrzeuge in zwei an­grenzenden geraden Röhren. Haupt­kritik­punkt aller Projekte war nicht die Frage der technischen Aspekte sondern die Frage wie der menschliche Körper auf solche schnellen Höhen­differenzen reagieren würde. Das Parlament entschied sich schlussendlich für das Projekt von Eduard Locher, welches aber nie verwirklicht wurde.

guyerzellerDie entscheidende Idee für die Jung­frau­bahn wurde schliesslich 1893 von Adolf Guyer-Zeller, einem Industriellen und Bahn­begeisterten aus dem Zürcher Oberland, vorgelegt. Nach seinen Plänen sollte die Jung­frau­bahn nicht im Tal in der Nähe von Lauter­brunnen beginnen, sondern von der Gipfel­station  der zwei Monate alten Wengern­alp Bahn, auf der Kleinen Scheidegg. Das ganze Berg­massiv sollte Teil des Projekts sein. Vier Stationen entlang der Strecke würden spektakuläre Aus­sichten bieten. Adolf Guyer entschied auch, dass seine Bahn elektrisch angetrieben sein sollte, eine Technologie die noch viel Verbesserung benötigte.

Neue Zweifel wegen eventuellen physischen Problemen kamen auf. Der Physiologe Hugo Kronecker wurde daher vom Bundes­rat angefragt, die sach­bezogenen Fragen zu beantworten. Aufgrund der Resultate die Kronecker während einer Expedition gewann, in der der schnelle passive Transport auf grosse Höhe simuliert wurde und Reisende in Sänften und mit Eseln von Zermatt zum Theodul­pass getragen wurden, konnte er eine positive Zusicherung geben.

Guyer-Zeller erhielt seine Bau­bewilligung. In der Konzession hat er zu­gesichert, wissen­schaftliche Forschung auf grosser Höhe zu unterstützen. Der Bau begann 1896. Die Bahnstrecke wurde abschnittweise fertiggestellt, die Einnahmen von Bahntickets zu den Aussichtsplattformen wurden verwendet, um die verbleibenden Bau­arbeiten zu finanzieren. Die Realisierung des Projektes wurde durch mehrere Un­glücke behindert, der plötzliche Tod von Adolf Guyer-Zeller nur sechs Monate nach Er­öffnung des ersten Ab­schnittes sowie eine ver­sehentliche Explosion von 30 Tonnen Dynamit im Jahre 1908 ein­geschlossen. Die einzig­artige Bahn aufs Jungfrau­joch wurde erst 1912, neun Jahre später als ur­sprünglich geplant, fertig gestellt.

Heute ist die Jung­frau­bahn eine moderne Berg­bahn mit internationalem Ansehen. Sie ermöglicht jedes Jahr 1’000’000 Besuchern aus aller Welt die einmalige Erfahrung einer spektakulären hochalpinen Umgebung, die 2001 von der UNESCO zum Welt­kultur­erbe ernannt wurde.

Die ersten Forscher auf Jungfraujoch

Cosmic ray measurements by Kolhörster and von Salis, at the summit of the Mönch, 1926.

Kosmische Strahlungs­messungen durch Kolhörster und von Salis, auf dem Gipfel des Mönchs, 1926.

Sobald die Bahn aufs Jung­frau­joch fertig­gestellt war, begannen die Forscher von den Möglichkeiten dieses ausser­gewöhnlichen Stand­ortes zu profitieren und es kamen Diskussionen über den Bau einer Forschungs­station auf. Alfred de Quervain, be­kannter Meteorologe und Grönland­forscher, war die treibende Kraft. Auf seine Initiative hin wurde 1922 die Jung­frau­joch Kommission der Schweizerischen Natur­forschenden Gesellschaft (heute Schweizerische Akademie der Wissenschaften, SCNAT) gegründet. Nur vier Jahre später wurde ein erster ‚meteorologischer Pavillon‘ auf dem Gletscher gebaut.

E. Schär aus Genf führte von 1922-1927 um­fangreiche astronomische Beo­bachtungen durch, die Instrumente wurden auf dem offenen Schnee- und Eis­feld platziert. Das Bedürfnis nach einer Unter­kunft wurde offensichtlich und auf Initiative der beiden Genfer Astronomen R.Gautier und G. Tiercy hin wurde kurz darauf ein kleines astronomisches Observatorium gebaut.

1928 machte D. Chalonge, ein französischer Pioneer der Astro­physik und einer der Gründer des ‚Institut d’Astrophysique de Paris‘, seine berühmten Ozon­messungen und begann mit Stern­spektroskopie.

Nachdem Victor Hess 1912 die Kosmische Strahlung entdeckt hatte, wurden hoch­alpine Stand­orte für die Studien der Charakteristiken dieser Strahlung gesucht. Die Jungfrau-Region war ideal, um die Schwankungen der Intensität in Ab­hängigkeit der Höhe zu untersuchen. 1925 und 1926 führten Kolhörster und von Salis zwei berühmte Expeditionen aufs Jung­frau­joch und zum Gipfel des Mönchs durch.

Die Hochalpine Forschungsstation Jungfraujoch

Research station

Forschungsstation

Nach dem frühen Tod von A. de Quervain war es W.R. Hess, der die Pläne für ein wissen­schaftliches Labor auf Jungf­rau­joch forcierte. Unter seiner Führung wurde 1930 die Internationale Stiftung Hoch­alpine Forschungs­station Jung­frau­joch gegründet. Nur ein Jahr später wurde die Forschungs­station eingeweiht und umf­angreiche Forschungs­arbeiten in den Gebieten der Physiologie, Meteorologie, Glaziologie, Strahlungs­forschung, Astronomie und Kosmischer Strahlung begannen.

Das Sphinx-Observatorium, für Millionen von Touristen ein Symbol für wissenschaftliche Aktivität auf Jung­frau­joch, wurde 1937 fertig­gestellt. Auf dessen Dach wurde 1950 eine erste astronomische Kuppel installiert. Aufgrund der grossen Nach­frage für Beobachtungen und der Platz­knappheit wurden in den späten 1960ern zwei astronomische Observatorien auf dem Gorner­grat installiert, als ein fester Bestand­teil der Stiftung.

Sphinx observatory with with 5 meter dome

Sphinx-Observatorium mit 5 Meter Kuppel in den 1950er Jahren

Die Forschungs­station wurde Ausgangs­basis für viele wissenschaftliche Arbeiten. Heute be­inhaltet das Gebäude fünf Labors, eine Schutz­hütte für Kosmische Strahlungs­forschung, eine mechanische Werk­statt, eine Bibliothek, eine Küche, ein Ess- und Auf­enthalts­raum, zehn Schlaf­zimmer, zwei Bade­zimmer und die Wohnungen der Betriebs­warte. Zur Aus­stattung gehört eine Maschine zur Her­stellung von flüssigem Stick­stoff.

Das Sphinx-Observatorium beinhaltet zwei grosse Labors, eine Wetter­beobachtungs­station, eine Werk­statt, zwei Terrassen für wissenschaftliche Experimente sowie eine astronomische und eine meteorologische Kuppel. Die astronomische Kuppel ist mit einem 76cm Teleskop mit Cassegrain- und Coudé-Fokus ausgestattet. Dank der grossen Investition der Jung­frau­bahn in eine Terrasse auf dem neuen Sphinx-Gebäude, können nun mehr kurz­zeitige Aussen­projekte durchgeführt werden.

Zwei Betriebs­warte-Ehe­paare beaufsichtigen die Forschungs­station abwechselnd vor Ort. Sie unterhalten die Infrastruktur, betreiben die Gäste­zimmer und agieren als Gastgeber für die Forscher. Die Betriebs­warte sind auch für die täglichen Wetter­berichte an die Meteo­Schweiz (Bundes­amt für Meteorologie und Klimatologie) zuständig sowie für die ständige Über­wachung einer Anzahl automatisierter Forschungs­projekte.

Forschungshöhepunkte

Die Geschichte der Forschungs­arbeiten auf Jung­frau­joch wieder­spiegelt heraus­ragende Resultate. Die folgenden Meilen­steine sind es wert, erwähnt zu werden:

  • Die Université de Liège in Belgien begann 1950 mit ihren Spektral­messungen des Sonnen­lichts. Diese Resultate erschienen im ersten Atlas des Sonnen­spektrums bei Wellen­längen zwischen 2.8 und 23.7 μm. Der Atlas wurde von Migeotte, Neven und Swensson herausgegeben und war die Basis für spätere Ergänzungen bei Wellen­längen im Bereich 0.3 − 1 μm durch Delbouille, Roland und Neven. Dieses Dokument gilt welt­weit immer noch als eine Referenz in Bezug auf das Sonnen­spektrum und ist in den Gebieten der Astronomie und der theoretischen Spektroskopie grundlegend.
  • Die Kosmische Strahlungs­forschung von Blackett und Wilson lieferte grundlegende Resultate und stehen in engem Zusammen­hang mit den zwei Nobel­preisen in Physik (Blackett, 1948; Powell, 1950). Die grosse Wilson-Kammer die 1951 von den zwei Briten im Sphinx-Observatorium aufgebaut wurde, wurde später im CERN verwendet, wo sie in die Ära der modernen Hoch­energie-Experimente ein­geführt wurde.
  • Die ausgezeichnete Transparenz der Atmosphäre über Jung­frau­joch er­möglichte 1962 den zwei deutschen Physikern Labs und Neckel die erste absolute Messung der Solar­konstante.
  • Der Genfer Astronom Golay entwickelte die 7-Farben Photometrie zur Klassifikation der Sterne. Dieses Mittel der Klassifikation war die Grund­lage für einen einzig­artigen Katalog der bis heute über 40’000 Sterne beinhaltet.
  • Nach der Sonnen­eruption am 3. Juni, 1982, konnte der Kosmische Strahlungs­detektor des Physikalischen Instituts der Universität Bern auf Jung­frau­joch zum ersten Mal das Vor­handensein von hoch­energetischen, solaren Neutronen in der Erd­atmosphäre nachw­eisen.
  • 1990 erlangten die österreichischen Forscher Blumthaler und Ambach weltweite Auf­merksam­keit für die erste direkte Messung der Zu­nahme der UV-Intensität auf der Erde.

Diese Zusammenfassung wichtiger wissenschaftlicher Arbeiten zeigt, dass die Gewichtung der Forschungs­felder in der Forschungs­station Jung­frau­joch mehr­fach ge­ändert hat: Glaziologie/Medizin → Kosmische Strahlung/Astro­physik → Astronomie. Während den letzten Jahren standen die Um­welt­wissenschaften im Vor­der­grund.