2016-10-19


Lernen und Kontakte pflegen am Fuss des Eigers

Seit 15 Jahren lockt die Sommerschule des Oeschger-Zentrums junge Forschende und arrivierte Wissenschaftler nach Grindelwald. In entspannter Atmosphäre weit weg vom Wissenschaftsbetrieb lernen sich Nachwuchsforschende aus der ganzen Welt kennen und debattieren mit ihren grossen Vorbildern.

Von Kaspar Meuli

Für eine Summer School in Klimaforschung könnte der Aus­tragungs­ort nicht besser gewählt sein. Aus den Fenstern des Kongresszentrums von Grindelwald geht der Blick direkt auf den Unteren Grindelwaldgletscher – oder was von ihm noch übrig ist. Seit den 1970er Jahren ist der stolze Gletscher, der einst bis ins Tal reichte, um mehr als drei Kilometer geschrumpft. Diese direkte Auswirkung des Klimawandels haben die 70 Doktorierenden und Postdocs vor Augen, die sich hier vom 28. August bis zum 2. September auf Einladung des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung der Universität Bern treffen. Und sie gibt ihnen zu denken.

Bild: © Kaspar Meuli

Bild: © Kaspar Meuli

„Interessant aber auch ziemlich ironisch“, sinniert Sarah Schlunegger, eine Doktorandin der Princeton University in den USA. „Während wir in diesem Saal sitzen, schmilzt der Gletscher still vor sich hin.“ Und Monica Ortiz, die an University of Sheffield in England doktoriert, erklärt: „In meiner Heimat, den Philippinen leiden wir unter ganz anderen Folgen des Klimawandels, die tropischen Zyklone nehmen zu.“ In Grindelwald sei ihr bewusstgeworden, dass der Klimawandel ein gemeinsames Problem sei und wie man anderenorts mit der Zunahme von Naturgefahren umgehe.

Die beiden jungen Forscherinnen haben sich aus zwei Gründen für die akademische Weiterbildung im Berner Oberland entschieden: Dem Thema wegen („Klimarisiken – mit Unsicherheiten umgehen“) und dem Schauplatz am Fuss von Eiger, Mönch und Jungfrau. „Ich war noch nie an einer so grandios gelegenen Konferenz“, schwärmt die Spezialistin für marine Biogeochemie aus den USA. Und die Biologin, die über den Einfluss des Klimawandels auf die Ernten in Europa forscht, will lernen, „wie man zum Beispiel mit Politikern über Risiken und Unsicherheiten kommuniziert“.

Begehrte Ausbildungsplätze für den Forschungsnachwuchs

Die vom Oeschger-Zentrum organisierte Swiss Climate Summer School findet auch dieses Jahr wie meistens in ihrer 15-jährigen Geschichte in Grindelwald statt. Gleich geblieben ist in all den Jahren nicht nur der Austragungsort. Ungebrochen ist auch das Interesse von jungen Klimaforschenden aus aller Welt. Die Teil­nehmerinnen und Teilnehmer – Frauen und Männer halten sich in etwa die Waage – sind handverlesen. Nur rund jede vierte Anmeldung kann berücksichtigt werden. Jeweils rund die Hälfte der Nachwuchsforschenden stammt aus dem Ausland. In der diesjährigen Ausgabe sind es 13 Nationen: von Australien, den USA und China bis zu Grossbritanien, Deutschland und Island.

Bild: Céline Dizerens

Bild: Céline Dizerens

Bild: Peter Stucki

Bild: Peter Stucki

Die betont internationale Ausrichtung der Sommerschule war von Anfang an gewollt. Der Anlass versteht sich nicht zuletzt als Aushängeschild der Schweizer Klimaforschung und damit auch der Universität Bern. Die internationale Atmosphäre gefällt den Dozierenden, alles renommierte Forschende mit imposanter Publikationsliste. Die Wissen­schafts­historikerin Naomi Oreskes etwa von der Universität Harvard hat sich mit ihren Analysen zu Klimaskeptikern („Merchants of Doubt“) einen Namen gemacht hat. Warum kommt sie regelmässig nach Grindelwald und verbringt eine ganze Woche mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs? „Für mich ist das eine einmalige Gelegenheit, junge Forschende aus der ganzen Welt zu treffen“, erklärt Naomi Oreskes. „Diese Sommerschule ist tatsächlich sehr international.“

Ein Philosoph unter Klimaforschern

Die Geographin und Sozialwissenschaftlerin Petra Tschakert hat beim letzten Bericht des Weltklimarats IPCC eine zentrale Rolle gespielt und lehrt an der University of Western Australia. Sie schätzt in Grindelwald vor allem die inhaltliche Breite: „Es ist einzigartig, wie interdisziplinär diese Summer School ist. Heute morgen etwa habe ich einen Vortrag eines Philosophen gehört – das erwartet man nicht an einer Sommerschule für Klimaforscher.“

Bild: Céline Dizerens

Bild: Céline Dizerens

Das Wecken intellektueller Neugier ist in Grindelwald Programm. „Wir sprechen nicht nur von Interdisziplinarität“, meint schmunzelnd Martin Grosjean, der Direktor des Oeschger-Zentrums, „wir leben sie vor.“ Die fünf Pro­fes­so­rinnen und Pro­fessoren der Universität Bern etwa, die an der diesjährigen Summer School einen Vortrag halten, stammen aus drei Fakultäten. Sie lehren Physik, Geographie, Politikwissenschaften, Philosophie und Volks­wirt­schaft. Der interdisziplinäre Ansatz funktioniere in Grindelwald gut, so Martin Grosjean, weil die Referenten genau wüssten, wie heterogen ihr Publikum zusammengesetzt sei. Sie achteten konsequent darauf, nicht nur für Spezialisten zu sprechen.

Neben all dem neuen Wissen profitieren die Nachwuchsforscher in Grindelwald nicht zuletzt von der Kontaktpflege und dem unkomplizierten Zugang zu bestanden Forschern. Professorinnen und Professoren, deren Namen sie sonst nur aus Publikationen kennen, haben hier plötzlich Zeit und lassen sich mit etwas Mut in Diskussionen verwickeln. Sarah Schlunegger etwa, die in Princeton im ersten Jahr an ihrer Doktorarbeit schreibt, überlegte nicht lange als sie merkte, dass einer der Dozenten allein beim Abendessen sass. „Ich setzte mich zu ihm, und dann haben wir fast eine Stunde über methodische Fragen diskutiert. So etwas ist nur in der ganz besonderen Atmo­sphäre dieser Summer School möglich.“

www.oeschger.unibe.ch