2017-Januar


Blick unter den Gletscher – dank hochauflösender Myonen Tomographie

 

Gletscher haben das Antlitz der Alpen und insbesondere der Schweiz massgeblich geprägt. Forscher der Universität Bern planen, mit Hilfe der Myonen Tomographie die Basis eines alpinen Gletschers am westlichen Rand des Eigers zu vermessen. Dazu haben sie im Tunnel der Jungfraubahnen mehrere Detektoren installiert, so dass sie zur Basis des Eigergletschers orientiert sind. Mit diesen Detektoren, bestehend aus einem Silber-Bromid Gel, werden eintreffende Myonen registriert. Aus den Bildern lässt sich dann die Basis des Eigergletschers in drei Dimensionen berechnen. Die Forscher möchten ein detailliertes Bild über die Erosionsmechanismen steiler Gletscher mit Hilfe dieser Daten bekommen.

Von Fritz Schlunegger

Wie sieht es wohl unter einem Gletscher aus? Ist der Fels abgeschliffen und glatt, oder fliesst das Eis auf Schutt und Geröll, wie das bei einem Gletschertor häufig der Fall ist? Diese Fragen werden im Rahmen eines vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Projektes untersucht, und zwar mit Hilfe der sogenannten Myonen Tomographie. Mit dieser Methode können die Forschenden des geologischen und physikalischen Instituts der Universität Bern ihren Blick unter einen Gletscher richten und sich dabei einen Kindheitswunsch erfüllen, nämlich der Eismasse beim Fliessen zuzuschauen.

Eiger und Mönch mit Eigergletscher in der Mitte, mit Blick nach Süden. Der Tunnel der Jungfraubahnen quert den Eiger und führt unter dem Eigergletscher zum Jungfraujoch. Myonen prasseln auf den Gletscher, durchdringen das Eis und den darunterliegenden Fels und treffen auf Detektoren im Bahntunnel. Dort hinterlassen sie mikroskopisch kleine Spuren.

Myonen durchdringen Gesteine und Eis

Myonen sind Elementarteilchen mit negativer Ladung. Sie sind den Elektronen sehr ähnlich, haben aber eine rund 200-mal grössere Masse. Myonen selbst entstehen durch eine Abfolge mehrerer Reaktionen, wenn kosmische Strahlungsteilchen auf Atomkerne in der äusseren Atmosphäre treffen. Auf Meereshöhe können im Durchschnitt 100 solcher Myonen pro Quadratmeter und Sekunde gemessen werden. Treffen solche Myonen auf einen Film oder auch Detektor, der mit einem Silberbromidgel beschichtet ist, dann hinterlassen sie feine Spuren, die unter dem Mikroskop ausgelesen werden können.

Die Lebensdauer von Myonen ist extrem kurz. So beträgt die mittlere Lebensdauer eines solchen Teilchens in Ruhe 2.2 Millionstel Sekunden. Ihre Bewegungsgeschwindigkeit ist aber hoch genug, so dass sie aufgrund der Zeitdilatation (spezielle Relativitätstheorie) die Erdoberfläche noch erreichen können. Dort treffen sie auf Fels und Geröll und dringen wegen ihrer hohen kinetischen Energie hunderte von Metern tief in den Untergrund. Dabei werden sie abgebremst und umgelenkt; kinetische Energie geht also verloren. Je grösser die Dichte des Gesteins oder des Festkörpers, umso ausgeprägter der Energieverlust und umso stärker die Umlenkung der Flugbahnen. Weil Eis und Fels hohe Dichtekontraste bis zu einem Faktor 3 und mehr aufweisen, bilden Myonen einen Gletscheruntergrund relativ präzise ab.

Der Eigergletscher – ein ideales Vermessungsobjekt

An der westlichen Flanke des Eigers sieht die Besucherin oder der Besucher der Kleinen Scheidegg eine steil nach unten hängende Eisflanke – es handelt sich um den Eigergletscher. Dieser hat seinen Ursprung in einer trichterförmigen Mulde zwischen Eiger und Mönch auf zirka 3500 Meter über Meer. Von dort fällt die Eismasse über eine Länge von 2000 bis 2200 Metern gegen die Biglenalp hinab. Das Tunneltrassee der Jungfraubahnen quert den Eiger in einem weiten Bogen. Wäre das Gestein des Eigers hell und durchsichtig, dann könnten wir im Tunnel den Eigergletscher von unten betrachten. Was ist deshalb naheliegender, als entlang des Jungfraubahntunnels die Umlenkung der Myonen zu messen, wenn sie Eis und Fels durchdringen?

Das Experiment im Tunnel tief unter dem Eiger

Die Jungfraubahnen haben freundlicherweise mehrere Nischen im Bahntunnel zur Verfügung gestellt, sodass ein Forscherteam der Universität Bern ein solches Experiment starten kann. Dabei wurden Detektoren entlang des Tunneltrassees installiert und mit Filmen bestückt, welche mit einem Silberbromidgel beschichtet sind. Die Detektoren sind gegen die Basis des Eigergletschers hin ausgerichtet. Auf diesen Filmen werden Myonen als mikroskopisch kleine Punkte abgebildet, nachdem sie die Eis-Fels-Kontaktfläche durchdrungen haben und auf dem Silberbromidgel auftreffen. Die mikroskopisch feinen Spuren im Film werden mit dem Mikroskop vermessen und mit komplexen numerischen Algorithmen auf die Gletschergeometrie zurückgerechnet. Aus diesen Berechnungen entsteht dann schliesslich ein hochauflösendes, dreidimensionales Bild von der Basis des Eigergletschers. Man ‚röntgt’ also quasi den Gletscher. Damit wollen die Forscher der Universität Bern herausfinden, wie Gletscher ein beständiges Felsmassiv, wie zum Bespiel den Eiger, abschmirgeln können.

Gletscher, Bahntunnel und Nische mit Myonen Detektor. Der Forscher wartet auf eintreffende Myonen. Wie viele werden es wohl sein, und was erzählen sie über ihre Reise durch Eis und Fels? Zeichnung © Garefalakis (2016)

Das Team

Ryuichi Nishiyama (mitte) ist Physiker und hat in Japan im Jahre 2015 seine Promotionsarbeit im Bereich der Myonen Tomographie abgeschlossen. Er ist für die Weiterentwicklung der Myonen Physik an der Universität Bern verantwortlich.
David Mair (unten links) hat an der Universität Innsbruck Geologie studiert und mit einer Masterarbeit im Jahre 2015 abgeschlossen. Er erstellt ein geologisches Modell über den Eiger und das Jungfraugebiet. Alessandro Lechmann (unten rechts) hat an der ETH Zürich Geophysik studiert und im Jahre 2015 sein Masterdiplom erworben. Er erstellt hochkomplexe Rechenalgorithmen. Diese sollen dann den Myonenfluss unter dem Eigergletscher und dem Fels simulieren.

Fritz Schlunegger (Institut für Geologie) und Antonio Ereditato (Physikalisches Institut) sind die verantwortlichen Wissenschaftler des Projektes.

 

Förderung und Unterstützung

Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung SNF (www.snf.ch)
Hochalpine Forschungsstationen Jungfraujoch und Gornergrat, Internationale Stiftung (www.hfsjg.ch)
Jungfraubahnen (www.jungfrau.ch)
Universität Bern (www.unibe.ch) sowie geologisches Institut (www.geo.unibe.ch) und Laboratorium für Hochenergiephysik (www.lhep.unibe.ch)

 

Autor

Fritz Schlunegger ist Geologe. Er ist seit 2001 Professor für Exogene Geologie am Institut für Geologie der Universität Bern. Sein Hauptforschungsgebiet liegt in der Abtragung von Gebirgen und in der Ablagerung des Abtragungsschutts. Des Weiteren beschäftigt er sich mit der Heraushebung von Gebirgen, mit speziellem Fokus auf die Alpen und die Anden.

Kontakt

Prof. Dr. Fritz Schlunegger
Institut für Geologie
Universität Bern
031 684 48 43
schlunegger@geo.unibe.ch
www.unibe.ch