2021-November


Befliegung des Aletschgletschers

Der Große Aletschgletscher ist der größte Gletscher der Alpen und Herzstück der Aletsch-Jungfrau-Region. Auf einer Länge von über 22 Kilometern und einer Fläche von ca. 80 km2 speichert der Gletscher ein Fünftel des in der Schweiz verfügbaren Eisvolumens. Als ausgedehnteste Eisfläche der Alpen, ist diese Region ein optimales Studiengebiet für das Potenzial von Luftbildaufnahmen über eis- und schneebedeckten Gebieten. Ein Team aus Wissenschaftlern des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat Anfang September 2021 ein photogrammetrisches Kamerasystem zur gezielten Datenerfassung über dem Aletschgletscher getestet und wurde dafür von vier Kollegen aus der Forschungsstation am Jungfraujoch unterstützt.

Von Celia Baumhoer

Wie viel Masse hat der Gletscher über die letzten Jahre verloren? Wie hat sich die Schneebedeckung in den letzten Jahrzehnten in der Aletsch-Jungfrau-Region verändert? Und wie kann man Luftbilddaten nutzen, um diese später für Analysen mit Satellitendaten zu verschneiden? Diese und weitere Fragen werden im Rahmen des vom DLR geförderten Projektes „Polar Monitor“ untersucht, um verschiedene Sensorsysteme für polare und kalte Regionen zu testen und mögliche Auswirkungen einer sich verändernden Kryosphäre auf die Gesellschaft zu untersuchen. Insbesondere Veränderungen in der Schneebedeckung und in der Gletschermassenbilanz wirken sich direkt auf die Wasserverfügbarkeit sowie den globalen Strahlungshaushalt aus.

Blick über den oberen Teil des Aletschgletschers aus dem Forschungsflugzeug, welches mit dem MACS-Kamerasystem ausgerüstet ist. © DLR/Jörg Brauchle

Blick über den oberen Teil des Aletschgletschers aus dem Forschungsflugzeug, welches mit dem MACS-Kamerasystem ausgerüstet ist. © DLR/Jörg Brauchle

Durchführung der Befliegung

Ausbringen einer Passpunktmarke auf dem Gletscher © DLR /Dennis Dahlke

Ausbringen einer Passpunktmarke auf dem Gletscher © DLR /Dennis Dahlke

Die Aufnahme hochaufgelöster Bilder des Aletschgletschers wurde mithilfe einer Befliegung durchgeführt. Dafür wurde am DLR Institut für Optische Sensorsysteme das Luftbildkamerasystem MACS-PolarMon (Modular Aerial Camera System for Polar Monitoring) aufgebaut und in einen motorisierten Segelflieger integriert. Das Kamerasystem verfügt über vier Kameraköpfe, wobei zwei im Spektralbereich (VIS) des sichtbaren Lichtes sowie je eine im nahen Infrarot und thermalen Infrarot empfindlich sind. Die beiden VIS-Kameraköpfe sind um 18° nach links bzw. rechts zur Flugrichtung angestellt, um Schrägluftbilder aufzunehmen. Die Trogtäler mit den zum Teil steilen Bergflanken konnte so optimal aufgenommen werden. Während der ca. zweistündigen Befliegung, bei der ein vorher geplantes Flugmuster abgeflogen wurde, konnten Luftbilder mit einer Bodenauflösung von meist unter 20 cm pro Pixel aufgenommen werden. Diese Bilder werden für die Erstellung von Luftbildkarten, sog. True Ortho Mosaiken, sowie einem digitalen Oberflächenmodell des Jungfraufirns verwendet. Um diese Daten präzise verorten sowie validieren zu können, wurden begleitend zum Flug Referenzpunkte mittels GNSS Messungen bestimmt. Markante, stationäre Gegenstände wie beispielsweise Gebäudeecken oder Regenmesser eignen sich besonders gut als Referenzpunkte. Da solche Punkte nur am oberen Jungfraufirn und am Konkordiaplatz zur Verfügung stehen, wurden zusätzliche Passpunktmarken auf dem Gletscher ausgebracht. Hierbei war die Herausforderung, die schwarz-weißen Passpunktmarken im Eis so zu befestigen, dass sie nicht vor der Befliegung wieder ausschmelzen oder vom Wind verweht werden. Zudem ist das Gletschereis immer in Bewegung und die Punkte mussten mehrfach eingemessen werden, um später die Gletscherfließgeschwindigkeit zu kompensieren. Nach Ausbringen der Passpunkte vergehen einige Tage bis Wochen bis zur Aufnahme des Luftbildes. Verschneite Referenzpunkte, Wolken, die freigegebene Flughöhe, der Winkel der Sonneneinstrahlung und viele weitere Faktoren beeinflussen die Qualität der Bilder. Erst wenn alle Rahmenbedingungen passen, können ausgezeichnete Luftbilder aufgenommen werden.

Blick auf das Jungfraujoch (oben), das Rottalhorn (unten links) und Gletscherspalten des Jungfraufirns (unten rechts) im prozessierten 2,5D Modell aus NIR Luftbildern © DLR

Blick auf das Jungfraujoch (oben), das Rottalhorn (unten links) und Gletscherspalten des Jungfraufirns (unten rechts) im prozessierten 2,5D Modell aus NIR Luftbildern © DLR

 

Der Einfluss des Klimawandels auf den Aletschgletscher

Der Aletschgletscher ist neben seiner Bedeutung für den Tourismus auch wichtig für die Wasserverfügbarkeit und das Abflussregime der Rhone und somit für die damit gewonnene Energie aus Wasserkraft. Ohne Eindämmung der CO2-Emissionen gehen Forscher davon aus, dass bis zum Ende dieses Jahrhunderts vom Aletschgletscher kaum noch etwas übrig sein wird. Die Forscher des DLR erhoffen sich durch das aufgenommene Höhenmodell über dem Aletschgletscher im Vergleich zu bestehenden Höhendaten Informationen zur aktuellen Abnahme der Gletschermächtigkeit zu erhalten. Das hochaufgelöste Mosaik aus Luftbildern soll sowohl für die Bestimmung der aktuellen Schneebedeckung und -grenze als auch zur Validierung des Global SnowPacks in Gebirgsregionen verwendet werden. Das Global SnowPack des DLRs liefert täglich Informationen zur globalen Schneebedeckung. Hier soll mithilfe der sehr genauen Luftbilddaten und der vor Ort genommen Messungen zur Schneebedeckung überprüft werden, wie genau die Schneebedeckung aus mittel-aufgelösten Satellitendaten in Gebirgsregionen abgeleitet werden kann. Basierend auf Satellitendaten können dann Zeitreihen zur Veränderung der Schneebedeckung und der Schneegrenze generiert werden, welche beispielsweise als Basis für Vorhersagen zur zukünftigen Entwicklung der Schneedynamiken in der Aletsch-Jungfrau-Region dienen.

Unterwegs auf dem Aletschgletscher zum Ausbringen der Passpunktmarken. Immer mit dabei: Der Vermessungsstab für das GNSS-Gerät. © DLR/ Matthias Geßner

Unterwegs auf dem Aletschgletscher zum Ausbringen der Passpunktmarken. Immer mit dabei: Der Vermessungsstab für das GNSS-Gerät. © DLR/ Matthias Geßner

 

Das Team

Dr. Andreas Dietz leitet das Team „Polar und kalte Regionen“ am DLR und ist Projektleiter von „Polar Monitor“. Jörg Brauchle ist für die Befliegung und das Kamerasystem zuständig. Dr. Celia Baumhoer hat die bodengestützte Begleitung der Befliegungskampagne organisiert und ist zusammen mit Jonas Köhler für die geowissenschaftliche Auswertung der Daten zuständig. Jonas Köhler ist Doktorand am DLR und beschäftigt sich mit Vorhersage von Dynamiken der Schneegrenze in den Alpen. Matthias Geßner und Dennis Dahlke sind Geowissenschaftler am Institut für Optische Sensorsysteme und sind im Projekt für die Aufnahme der Referenzpunkte und die geometrische Auswertung der Luftbilddaten zuständig.

Einmessen der Heli-Plattform an der Konkordiahütte als Referenzpunkt. © DLR/ Celia Baumhoer

Einmessen der Heli-Plattform an der Konkordiahütte als Referenzpunkt. © DLR/ Celia Baumhoer

 

Autorin

Celia Baumhoer ist Postdoktorandin am Earth Observation Center (EOC) des DLR im Team für kalte und polare Regionen. Fasziniert von Schnee und Eis erforscht sie mit Hilfe von Erdbeobachtungsdaten und künstlicher Intelligenz, wie sich Gletscher verändern und welche Rolle dabei der Klimawandel spielt. In den Projekten Polar Monitor und AI-CORE (Artificial Intelligence for Cold Regions) nutzt sie Fernerkundungsdaten zur Analyse von Gletscherveränderungen.

 

 

 

 

 

Kontakt

Dr. Celia A. Baumhoer
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Earth Observation Center (EOC)
Oberpfaffenhofen
celia.baumhoer@dlr.de

Projektleitung Polar Monitor
Dr. Andreas Dietz
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Earth Observation Center (EOC)
Oberpfaffenhofen
andreas.dietz@dlr.de

Kamerasystem
Dipl.-Ing. Jörg Brauchle
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Optische Sensorsysteme, Sicherheitsforschung und Anwendungen
Berlin-Adlershof
joerg.brauchle@dlr.de

 

Links

Earth Observation Center
Institut für Optische Sensorsysteme
MACS-Kamerasystem
Team „Kalte und polare Regionen“ (DLR)
Global SnowPack